Wie schätzen Lehrer*innen die Einführung digitaler Prüfungsformate zur Leistungsfeststellung und -beurteilung ein?
Forschungswerkstatt: „Medienbildung im Fachunterricht. Games, Tools und Medienkompetenz“ 2022/23 – Andreas Hedrich
Autorin: Wiebke Brardt
Zusammenfassung
Die Corona-Pandemie hat das deutsche Bildungssystem vor große Herausforderungen gestellt. Die Schulen wurden geschlossen und neue Unterrichtsformen des Distanz- oder Wechselunterrichts geschaffen (Mußmann et al. 2021: 9). Dabei erwiesen sich insbesondere die Leistungsfeststellungen und -beurteilungen der Schüler*innen als problematisch, denn es war unklar, wie diese im Rahmen der Schulschließungen gemessen werden sollten (Albrecht 2021: 130). Bisher waren die Prüfungen in der Regel „auf Präsenz, Kontrolle und auf Ausschluss analoger wie digitaler Hilfsmittel ausgerichtet“ (Albrecht 2021: 130). Im Vergleich zu anderen Ländern setzt Deutschland hierbei jedoch wenig auf digitale Formate, obwohl diese Krise „zu einem deutlichen Schub der Digitalisierung an deutschen Schulen geführt“ (Mußmann et al. 2021: 9) haben soll (Mußmann et al. 2021: 9, 155). Die Forderung nach neuen, zeitgemäßen Prüfungsformaten wird lauter. So hat auch die Kultusministerkonferenz ihre Empfehlung der Strategie zur Bildung in der digitalen Welt erweitert und empfohlen, „unter Nutzung digitaler Medien und Werkzeuge etablierte Prüfungsformate anzupassen sowie neue Prüfungsformate zu entwickeln“ (KMK 2021: 13). Fraglich ist, inwiefern dies in der Praxis bisher umgesetzt wird.
Methode
- Leitfadeninterviews mit drei Lehrerinnen (L1, L2 und L3) von unterschiedlichen Schulformen aus Deutschland und Kroatien
- Fokus auf subjektive Ideen, Erfahrungen und Einschätzungen der Lehrkräfte
- eine qualitative, strukturierende Inhaltsanalyse nach Mayring (2013)
- induktive und deduktive Kategorienbildung
- Transkription durch das Programm EXMARaLDA nach HIAT
- Codierung mithilfe des Programms MAXQDA
Ergebnisse
Insgesamt zeigte sich, dass die befragten Lehrerinnen unterschiedliche digitale Formate und Tools in ihrem Unterricht einsetzen oder sich den Einsatz dieser Formate im Unterricht vorstellen können. Hierzu zählen beispielsweise die App Kahoot!, die Programme Microsoft Word, Teams und Forms sowie die Plattform Moodle. Es wurde betont, dass bisher keine digitalen Klausuren geschrieben wurden. Die einzige Ausnahme stellt L3 dar, die dies nur für eine Schülerin mit Sehbeeinträchtigung durchführt. Es sind primär kleine Tests oder formative Übungen, die digital durchgeführt werden. Darüber hinaus konnte auch gezeigt werden, dass die Lehrerinnen sowohl Chancen als auch Risiken im Einsatz digitaler Prüfungsformate sehen. Neben der hohen Flexibilität und Motivation der Lernenden sind die steigende Chancengleichheit (u. a. durch barrierefreie Prüfungen) sowie die Förderung der Nachhaltigkeit weitere Chancen. Der Verlust der Kontrolle wird von zwei Lehrerinnen als großes Risiko angesehen. Aus diesem Grund fordern sie Programme, um auch bei digitalen Prüfungsformaten ihre Schüler*innen kontrollieren zu können. Weitere Risiken stellen in ihren Augen die technische Ausstattung an den Schulen sowie das Fehlen von verfügbaren Ansprechpartner*innen dar. Bei L2 spielen die Kompetenzen Kollaboration und Kreativität eine übergeordnete Rolle, während L1 das kritische Denken ihrer Schüler*innen primär fördert und im Rahmen ihrer Prüfungen abfragt. L1 und L2 setzen digitale Prüfungsformate in kleinem Umfang auch zur summativen Diagnostik ein, während L3 dies ablehnt und digitale Formate ausschließlich für eine formative Leistungsbeurteilung einsetzt. Dadurch wird deutlich, dass die Empfehlung der Kultusministerkonferenz (2021), Prüfungsformate weiterzuentwickeln und die 4K-Kompetenzen hierbei einzubeziehen, bisher nur in geringem Maße umgesetzt wird. Noch sind es vor allem klassische Prüfungsformate, die analog im Unterricht durchgeführt werden. Hierbei werden Hilfsmittel in der Regel ausgeschlossen und die Zusammenarbeit mit Mitschüler*innen im Rahmen von Prüfungsleistungen möglichst vermieden. Doch auch wenn die Empfehlung der KMK (2021) bisher nur minimal in der Praxis umgesetzt wird, blicken insbesondere L1 und L2 den Entwicklungen positiv entgegen.
Quellen:
Mayring, Philipp (2013): Qualitative Inhaltsanalyse. In: Flick, Uwe, Ernst von Kardorff & Ines Steinke (Hrsg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 10. Auflage. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 468-475.
Albrecht, Christian (2021): Prüfungsformate im digitalen Wandel. In: Klee, Wanda, Philippe Wampfler & Axel Krommer (Hrsg.): Hybrides Lernen. Zur Theorie und Praxis von Präsenz- und Distanzlernen. Weinheim & Basel: BELTZ, 130-146.
Mußmann, Frank, Thomas Hardwig, Martin Riethmüller & Stefan Klötzer (2021): Digita- lisierung im Schulsystem 2021. Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, Rahmenbedingungen und Perspektiven von Lehrkräften in Deutschland. Ergebnisbericht. Göttingen: Georg-August-Universität Göttingen, Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften.
Kultusministerkonferenz/KMK (2021): Lehren und Lernen in der digitalen Welt. Die ergänzende Empfehlung zur Strategie ‚Bildung in der digitalen Welt‘. Online: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2021/2021_12_09-Lehren- und-Lernen-Digi.pdf [16.02.2023].