Eine qualitative Interviewstudie zur Erstellung von Unterrichtsentwürfen durch ChatGPT unter Berücksichtigung des Selbstkonzepts als Lehrkraft

Forschungsfrage: Inwiefern und warum nutzen Deutschlehrkräfte ChatGPT zur Erstellung von Unterrichtsentwürfen und welche Rolle nimmt dabei das Selbstkonzept der Lehrkraft ein?

Forschungswerkstatt: „Medienbildung im Fachunterricht. Games, Tools und Medienkompetenz“ 2023/24 – Andreas Hedrich

Autor*innen: Josephine Carnehl und Jula Schink

Zusammenfassung: Nachdem im November 2022 ChatGPT veröffentlicht wurde, ging diese Künstliche Intelligenz (KI) vielfach durch die Medien und wurde entweder hoch gelobt oder scharf kritisiert. In vielen Berufen findet das Tool bereits Anwendung. Auch in der Schule hat ChatGPT schon Einzug gehalten.

Wir haben vier Deutschlehrkräfte einzeln interviewt und gefragt, wie ihre Meinungen zu ChatGPT sind und inwiefern sie die KI zur Unterrichtsplanung nutzen würden. Besonders interessierte uns, warum genau sie eine Nutzung befürworten oder ablehnen würden. Dafür haben wir sowohl erfragt, wie die Meinungen zu ChatGPT ganz generell aussehen, aber auch, wie die Interviewten das Tool ganz konkret in der Unterrichtsplanung bewerten.
Unser zweites Hauptthema – das des Selbstkonzepts – haben wir ebenfalls abgefragt. Wir baten die Lehrkräfte, wie sie sich selbst in ihrer Rolle einschätzen, wo ihre eigenen Stärken oder Schwächen liegen.
Beide Hauptthemen sollten die Interviewten dann zusammenbringen: Wie würde sich das Selbstkonzept ändern, wenn man ChatGPT zur Unterrichtsplanung nutzen würde?

Methode: Um die Fragestellung zu beantworten und weil bisher wenig Forschung zu diesem Thema existiert, haben wir uns für leitfadengestützte Interviews entschieden. So sollten möglichst offen die Ansichten der verschiedenen Lehrkräfte erfasst werden. Die Stichgruppe besteht aus vier Deutschlehrkräften an zwei Hamburger Gymnasien. Nach Mayrings (2022) Qualitativer Inhaltsanalyse wurden die Interviews dann analysiert, die Kategorien wurden einzeln durch die Autorinnen induktiv erarbeitet und dann rücküberprüft.

Ergebnisse: Die erste interviewte Person (B1) setzt ChatGPT vor allem phasenweise ein, sodass nicht ganze Unterrichtsentwürfe durch die KI geplant werden, sondern eher einzelne Aufgaben, Abschnitte der Stunde oder Erklärungen konzipiert. B1 bewertet die KI sowohl als „gruselig“, als auch als „spannend“. Als Lehrer:in empfindet sich B1 als grundlegend gut, aber sieht auch Verbesserungspotential. Dennoch findet B1 nicht, „dass ich dann da irgendwie obsolet bin“, wenn man ChatGPT als Lehrkraft nutze.

Wiederum B2 sieht ChatGPT sehr kritisch und fürchtet einen großen Verlust an Autonomie, Kompetenz und eigenem Denken, wenn man sich zu sehr auf ChatGPT oder auch Medien generell verlasse. Infolgedessen habe B2 ChatGPT auch noch nicht zur Unterrichtsplanung genutzt. B2 sagt: „Man hat eine akademische Bildung [als Lehrkraft] hinter sich, dann muss man halt auch selber denken können.“ B2 sieht sich selbst als Expert:in im Unterricht, das eigene Wissen solle den Schüler:innen vermittelt werden. Dennoch sieht auch B2 bei sich noch Verbesserungspotential. B2 selbst sieht nicht, warum eine ChatGPT-Nutzung den eigenen Unterricht bereichern könne.

B3 nutzt ChatGPT häufig zur Unterrichtsplanung, entsprechend sei das Tool eine Arbeitserleichterung. Aber auch B3 räumt ein, dass die Ergebnisse der KI überprüft werden müssen, wenn man sie auch nutzen möchte. Trotzdem gehe die Zeitersparnis vor, denn „erst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Das Selbstkonzept von B3 kann als gut mit Verbesserungspotential eingeschätzt werden. Dies ändere sich nicht durch ChatGPT, da Hilfsmittel im Lehrberuf auch vor ChatGPT bereits genutzt wurden.

Ebenfalls B4 sieht viel Potential in der ChatGPT-Nutzung. Bisher nutzte B4 die KI für Aufgaben, Erklärungen und um den Unterricht allgemein schüler:innen-näher zu gestalten. Das Tool sei eine Orientierungshilfe und Arbeitserleichterung, aber es sei auch ein Umdenken in der Schule nötig, jetzt da ChatGPT verfügbar ist. B4 sieht sich selbst als gute Lehrkraft an, die Ausbildung sei wichtig. Ansonsten verlangt B4 viel von sich und sieht ebenso wie alle zuvor ein Verbesserungspotential bei sich. Durch ChatGPT stärke sich das eigene Selbstkonzept sogar, da eine bessere Kapazitätenaufteilung möglich ist. Durch diese Erleichterung kann B4 die wichtigeren oder interessanteren Elemente der Planung eher fokussieren. Letztlich sei „die Idee, das [ChatGPT] nicht zu benutzen, […] keine Option.“

Allen Interviewten fehlen bei ChatGPT allerdings noch nutzbare Quellenangaben, weshalb auch die Ergebnisse nochmal mehr geprüft werden müssten. So entstehe möglicherweise doppelte Arbeit. Ebenso kritisierten sie, dass Prompts teils nicht gut genug umgesetzt wurden. Jedoch betonen drei von vieren auch die vielen technischen Möglichkeiten, die eine Zeitersparnis möglich machen. Das Tool biete eine erste Orientierung und sei bei entsprechender Reflexion der Ergebnisse gut nutzbar. Gerade, wenn die KI als kreativ und vielfältig wahrgenommen wird, werde sie mehr genutzt. Jedoch nur, wenn sie für vertrauenswürdig und nicht zu aufwendig empfunden wird. Das Selbstkonzept der Interviewten ändert sich durch die KI bei drei von vieren nicht wesentlich.

Forschungsposter zum Projekt:

Literatur (Poster):

Baidoo-Anu, David & Owusu Ansah, Leticia (2023): Education in the Era of Generative Artificial Intelligence (AI): Understanding the Potential Benefits of ChatGPT in Promoting Teaching and Learning. In: SSRN Electronic Journal, S. 3–22. (DOI: 10.2139/ssrn.4337484).

Choi, Seongyune; Jang, Yeonju & Kim, Hyeoncheol (2023): Influence of Pedagogical Beliefs and Perceived Trust on Teachers’ Acceptance of Educational Artificial Intelligence Tools. In: International Journal of Human–Computer Interaction, 39 (4), S. 910–922. (DOI: 10.1080/10447318.2022.2049145).

Mayring, Philipp (2022): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 13. Neuausgabe, Weinheim: Julius Beltz GmbH & Co. KG.