Forschungswerkstatt zu den Prioritären Themen der Erziehungswissenschaft: Umgang mit Heterogenität: Leistungsbeurteilung und Urteilsverzerrungen
WiSe 2021/22 – Prof. Dr. Jan Retelsdorf

Autorinnen: Ariane Struck und Charlotte Hill

Zusammenfassung:

Studien stützen immer wieder die These, dass Schüler:innen mit einem Migrationshintergrund aufgrund von stereotypen Vorstellungen und daraus resultierenden Erwartungshaltungen der Lehrpersonen in Bezug auf ihre Fähigkeiten und Leistungen schlechter bewertet werden. Die durchgeführte Untersuchung soll zeigen, ob sich diese Urteilsverzerrung auch auf die Bewertung grammatischer Fähigkeiten von Schüler:innen mit einem Migrationshintergrund erstreckt. Bei der Grammatik handelt es sich zwar nicht tatsächlich um eine sachliche Bezugsnorm, da sich hier immer wieder ein Wandel vollzieht und es teilweise mehrere mögliche Formen gibt, dennoch sollten die einzelnen Lehrpersonen ein immer gleiches Bewertungsmuster für grammatische Formen haben, das sie bei jedem Kind identisch anwenden und sich so eine „subjektive sachliche Bezugsnorm“ schaffen. Zudem wurde untersucht, ob sich der beschriebene Effekt besonders bei Personen zeigt, die wenig Kontakt zu Menschen mit Migrationshintergrund haben.

Methode:

Für die Untersuchung mit 23 Teilnehmer:innen wurden Lehramtsstudent:innen und einer Lehrerin ein Text zur Korrektur vorgelegt. Eine Hälfte der Teilnehmenden bekam den Text von Emre vorgelegt, die andere den von Marlon. Der Text selbst war in beiden Fällen identisch und enthielt mehrere Rechtschreibfehler sowie grammatische Zweifelsfälle. Grammatische Zweifelsfälle entstehen, wenn durch fortlaufenden Sprachwandel mehrere grammatische Formen gleichzeitig existieren, die häufig als falsch empfunden werden. Zuletzt sollte eine Note vergeben werden. Die Namen wurden ausgewählt, da sie in einer Studie in Bezug auf mehrere Beurteilungsdimensionen (z.B. sozioökonomischer Status) sehr ähnlich eingeordnet wurden.

Ergebnisse:

Zwar erhält der Text mit dem Titel Emre durchschnittlich 4 Grammatikfehler, 3,1 Rechtschreibfehler und die Note 2+, während der Text mit dem Titel Marlon durchschnittlich 4,3 Grammatikfehler, 4,6 Rechtschreibfehler und die Note 2 erhält, diese Unterschiede werden aber nicht statistisch signifikant. Die Ergebnisse der Anschlussfragen bzgl. der interkulturellen Lebenswelt der Teilnehmenden zeigen eine homogene Teilnehmer:innenschaft auf, ohne Migrationshintergrund und sich selbst einer hohen sozialen Schicht zuordnend. Die Anzahl der im Alltag der Befragten gesprochenen Sprachen korreliert weder bei Marlon noch bei Emre signifikant mit der Bewertung. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass es keinen Zusammenhang bzgl. der Häufigkeit interkultureller Kontakte und der Leistungsbewertung von Kindern mit Migrationshintergrund gibt.

Wir stellen fest, dass unsere Studie unsere Annahmen nicht bestätigen konnte, gleichzeitig aber auch nicht widerlegen konnte, da u.a. die Stichprobe sehr klein ist.