Digitale Medien und ihre Bedeutung für die sexuelle Sozialisation

Forschungsfrage: Welche Rolle nimmt das Sexting bei der Herausbildung der sexuellen Identität Jugendlicher ein?

Forschungswerkstatt: „Medienbildung im Fachunterricht. Games, Tools und Medienkompetenz“ 2023/24 – Andreas Hedrich

Autor*innen: Annika Abel, Lara Jordan

Zusammenfassung:
Mit dem Begriff Sexting, welcher sich aus den Wörtern Sex und Texting zusammensetzt, wird allgemein das „freiwillige Versenden und Empfangen selbst produzierter, freizügiger oder erotischer Aufnahmen“ (UBSKM o.J.: o.S.) beschrieben. Auch das Versenden und Empfangen erotischer Nachrichten (vgl. Landesanstalt für Medien NRW 2022: o.S.) und der Austausch kontextualisierter Emojis (vgl. Madelmond o.J.: o.S.) gelten als Sexting. Sexting findet dabei ausschließlich digital statt (vgl. Kannenberg 2021: o.S.). Die Inhalte werden über Messenger (vgl. Handysektor 2022: o.S.) und soziale Netzwerke (vgl. Madelmond o.J.: o.S.) geteilt.

In unserer Arbeit wurde die Rolle von Sexting bei der Herausbildung einer sexuellen Identität von Jugendlichen untersucht. Jedoch konnte die Forschungsfrage, aufgrund der Schwierigkeit der Einschätzung einer sexuellen Identitätsfindung, in diesem Rahmen nicht beantwortet werden und bleibt künftigen Untersuchungen überlassen. Trotzdem gibt die Forschung interessante Einblicke in das Sexting-Verhalten von Jugendlichen. Dieses ist in Bezug zu „Safer Sexting“ analysiert worden. Daraus konnten erste sinnvoll erscheinende Präventionsansätze abgeleitet werden, worauf zukünftige Forschung aufbauen kann.

Methode:
Zur Datenerhebung wurden 5 leitfadengestützte Interviews mit Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren durchgeführt. Diese Methode bietet einen Rahmen, welcher die Vergleichbarkeit der Interviews ermöglicht, lässt den Interviewten jedoch ausreichen Raum, für individuelle Äußerungen und ermöglicht das spontane Eingehen auf ihre Äußerungen (vgl. Loosen 2016: 142). Der Leitfaden für die Interviews dieser Studie enthält – entsprechend den theoretischen Überlegungen zu Aufbau und Inhalt eines solchen (vgl. ebd.: 144) – Themen und Fragen, welche sich aus der übergeordneten Fragestellung ergeben und auf Selbstauskünfte der Interviewten zielen. Der Verlauf des Gesprächs kann – muss aber nicht – der Reihenfolge der Fragen im Leitfaden folgen (vgl. ebd.: 144). Hier wurde bei den durchgeführten Interviews entsprechend der jeweiligen Gesprächssituation flexibel variiert. Die fünf Interviews wurden aus organisatorischen Gründen im Einverständnis der Teilnehmenden ausschließlich online über die Plattform Zoom durchgeführt. Dabei wurde das Gespräch aufgezeichnet, was zum einen den Vorteil bietet, dass der Interviewende sich während des Interviews auch vollkommen auf dieses fokussieren kann und nicht mitschreiben muss (vgl. Mayer 2013: 47), zum anderen konnten die Gespräche dadurch im Nachhinein exakt transkribiert werden, was die Auswertung erleichtert. Trotz der angestrebten Vergleichbarkeit der Interviews stand der Gewinn individueller Eindrücke im Vordergrund der Befragung. Anschließend wurden die Interviews entsprechend der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet (vgl. Vogt/ Werner 2014: 47). Dies hat den Vorteil, dass die sehr theorie- und regelgeleitete Methode den Prozess der Auswertung übersichtlich und intersubjektiv nachvollziehbar macht (vgl. ebd.: 47).

Ergebnisse:
Es konnte festgestellt werden, dass sich Sexting – wenn auch explizit gesucht – häufig aus einem normalen Schreiben heraus ergibt. Den befragten Jugendlichen scheint es dabei wichtig zu sein, trotz einem mehr oder weniger ausgeprägten Wunsch nach Distanz, eine Verbindung zum Gegenüber herzustellen, welche ein gewisses Vertrauen ermöglicht. Besonders interessant dabei ist die Tatsache, dass dieses Vertrauen in verschiedenen Gesprächen auf unterschiedlichen Grundlagen basiert. Während einige der Jugendlichen angaben, dem Sexting-Partner mehr vertrauen zu können, wenn eine persönliche Beziehung besteht, bevorzugen andere die komplette Anonymität, da sie sich mehr auf das Sexting einlassen können, wenn der Partner nicht aus dem persönlichen Umfeld stammt und keinerlei Kontakte zu diesem hat. Weiter ist interessant, dass trotz des bestehenden Wunschs nach einer Distanz zwischen eigenem Umfeld und Sexting Partner dennoch teilweise das Bedürfnis besteht, eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen, um das Vertrauen zu stärken.

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Befragungen ist, dass die Jugendlichen von vielfältigen Intentionen für Sexting berichten, welche zu großen Teilen nicht sexuell geprägt sind. Neben den erwarteten Intentionen wie dem Ausleben sexueller Fantasien wurden so besonders die Steigerung des Selbstwertgefühls, das Erhalten von Anerkennung sowie der Abbau von Stress bzw. das Abschalten genannt. Und auch bei den persönlichen Bedeutungen und selbst erkannten Einflüssen spielt die Sexualität eine eher untergeordnete Rolle. Diese Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass Sexting die Jugendlichen nicht nur in der Entdeckung ihrer Sexualität, sondern auch in anderen Bereichen ihrer persönlichen Entwicklung beeinflusst. Hier könnten weiterführende Studien potenzielle Zusammenhänge untersuchen.

Besonders die angegebenen negativen Erfahrungen und Einflüsse sind in Verbindung damit, dass nach Aussage der Jugendlichen kaum ein Austausch, insbesondere mit erwachsenen Bezugspersonen, stattfindet, kritisch zu betrachten. Hier existiert die Gefahr, dass die Jugendlichen versuchen, negative Einflüsse mit sich selbst auszumachen, was zu ernsten Problemen führen kann. Unter anderem deshalb, aber auch aufgrund des eigenen Wunsches der Jugendlichen, könnte das Entwerfen und Implementieren von Aufklärungs- und Präventionsprogrammen eine sinnvolle Möglichkeit für weiterführende Forschung darstellen.

In Bezug zu dem Aspekt der Sicherheit führen die Jugendlichen bereits vielfältige Präventionsmaßnahmen sowie Ratschläge zum sicheren Umgang mit Sexting an. In dieser Hinsicht ist kritisch zu reflektieren, inwiefern die Jugendlichen sich an ihre eigenen Strategien halten. Denn obwohl die gegebenen Tipps sich weitgehend mit den selbst genutzten Strategien weitgehend decken, berichteten die Jugendlichen von vielen negativen Erfahrungen, also Situationen, in denen sie ihre Präventionsstrategien entweder vernachlässigt haben, oder in denen die gewählten Strategien nicht ausreichend waren. Auch hier könnte zukünftige Forschung anknüpfen und eventuelle Widersprüche im Risikobewusstsein und dem tatsächlichen Verhalten untersuchen. Zudem ist wiederkehrend angeführt worden, sich vorwiegend durch sein Vertrauensgefühl leiten zu lassen. Inwiefern diese vermeintliche Schutzstrategie sinnvoll ist, könnte in Präventionsprogrammen mit Jugendlichen zur Diskussion gestellt werden. Anknüpfend daran scheint es sinnvoll, konkrete Handlungswerkzeuge, wie das „Zeigen statt Senden“ zu vermitteln, welche die Jugendlichen bisher noch nicht kannten. Dies unterstützt auch die Erkenntnisse von Moosmann et al. (2021: 177).  Das Ziel sollte sein, dass die Jugendlichen nicht allein auf ihr Bauchgefühl hören, sondern zugleich kognitive Handlungsstrategien zum sicheren Umgang mit Sexting kennenlernen und ausreichend verinnerlichen, um sie auch in konkreten Situationen anwenden zu können. Auch die rechtliche Dimension bzw. die Frage nach der Verantwortung sollte in solchen Präventionsprogrammen aufgegriffen werden, denn wie die vorliegende Studie zeigen konnte, herrscht hierüber – trotz klarer rechtlicher Regelungen – noch Unsicherheit bei den Jugendlichen.

Literatur:
Budde, Jürgen/ Witz, Christina/ Böhm, Maika (2022): Orientierungen Jugendlicher auf
    sexuelle Grenzverletzungen mittels digitaler Medien. MedienPädagogik – Zeitschrift für
    Theorie und Praxis der Medienbildung, S. 67-95.
Döring, Nicola (2012): Erotischer Fotoaustausch unter Jugendlichen: Verbreitung, Funktionen
    und Folgen des Sexting.
[online] https://www.nicola-doering.de/wp-content/uploads
    /2014/08/D%C3%B6ring-2012-Erotischer-Fotoaustausch-unter-Jugendlichen.pdf
    [ohne Datum] abgerufen am 10.01.2024.
Handysektor (2022): Über Sexting. [online] https://www.handysektor.de/sexting/
    [27.07.2022] abgerufen am 16.01.2024.
Kannenberg, Vanessa (2021): Sexting – Ein Einblick in digitale Beziehungen junger Menschen
    und deren Risiken aus Sicht eines jungen Menschen.
[online] https://www.servicestelle-
    jugendschutz.de/2021/08/sexting/ [13.08.2021] abgerufen am 16.01.2024.
Klein, Alexandra (2017): Körper – Sexualität – Beziehungen im Jugendalter. In:
    Sachverständigenkommission 15. Kinder- und Jugendbericht (Hg.): Materialien zum 15.
    Kinder- und Jugendbericht. Zwischen Freiräumen, Familie, Ganztagsschule und virtuellen
    Welten – Persönlichkeitsentwicklung und Bildungsanspruch im Jugendalter. München:
    Deutsches Jugendinstitut, S.371-422.
Landesanstalt für Medien NRW (2022): Sexting – nur ein Flirt oder schon strafbar? [online]
    https://www.medienanstalt-nrw.de/presse/pressemitteilungen-2022/2022/november/sex
    ting-nur-ein-flirt-oder-schon-strafbar.html [03.11.2022] abgerufen am 16.01.2024.
Loosen, Wiebke (2016): Das Leitfadeninterview – eine unterschätzte Methode. In:
    Averbeck-Lietz, Stefanie/ Meyen, Michael (Hg.): Handbuch nicht standardisierte
    Methoden in der Kommunikationswissenschaft.
Wiesbaden: Springer VS. S. 139-156.
Madelmond, Jennifer (o.J.): Was ist Sexting? [online] https://www.lmz-bw.de/medienbil
    dung/themen-von-f-bis-z/sexualitaet-und-pornografie/was-ist-sexting#c66221
    [ohne Datum] abgerufen am 16.01.2024.
Mayer, Horst Otto (2013): Interview und schriftliche Befragung. Grundlagen und Methoden
    empirischer Sozialforschung.
6. überarbeitete Auflage, München: Oldenbourg Verlag.
Moosmann, Michaela/ Buhri, Katharina/ Grabherr, Ariane/ Atzinger, Angelika (2021):
    >>Nacktfotos auf’s Handy kriegen ist doch ganz normal!<< Einblicke in die Arbeit mit
    Jugendlichen zu Sexualität und digitalen Medien. In: Thuswald, Marion/ Sattler, Elisabeth
    (Hg.): Sexualität, Körperlichkeit und Intimität. Pädagogische Herausforderungen und
    professionelle Handlungsspielräume in der Schule.
Bielefeld: transcript
    Verlag. S. 167-180.
Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) (o.J.):
    Sexuelle Gewalt im Internet. [online] https://beauftragte-missbrauch.de/themen/
    definition/sexuelle-gewalt-im-internet [ohne Datum] abgerufen am 16.01.2024.
Vogt, Stefanie/ Werner, Melanie (2014): Forschen mit Leitfadeninterviews und qualitativer
    Inhaltsanalyse.
Köln: Fachhochschule Köln, Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften.

Poster: