Forschungsfrage: Welchen Einfluss hat die Nutzung von Messenger-Diensten im Schulalltag auf die Kommunikation zwischen SchülerInnen, LehrInnen und Eltern?

Forschungswerkstatt: „Medienbildung und Schulentwicklung. Methoden und Konzepte auf dem Prüfstand“ 2023/24 – Andreas Hedrich

Autor*innen: Kutret Dalmaz, Ardit Sholla & Benjamin Zimmermann

Zusammenfassung: Die zwischenmenschliche Kommunikation ist eine unverzichtbare Säule des sozialen Miteinanders und somit von essenzieller Bedeutung für eine funktionierende Gesellschaft (vgl. Vogel, 2018, S. 9f). Besonders in Bildungseinrichtungen ist eine erfolgreiche Kommunikation von großer Relevanz, da hier verschiedene AkteurInnengruppen involviert sind. In den letzten Jahren hat die verstärkte Nutzung von Messenger-Diensten und ähnlichen Kanälen einen deutlichen Einfluss auf die Art und Weise der zwischenmenschlichen Interaktion. Es ist entscheidend, den Einfluss dieser Messenger-Dienste im schulischen Umfeld auf die Kommunikation zwischen SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern zu untersuchen, um die sich verändernden Kommunikationsmuster zu verstehen und effektivere Bildungsstrategien zu entwickeln.

Methode: Um den Anforderungen dieser Untersuchung gerecht zu werden, wurde die Grounded Theory als qualitativer Forschungsansatz verwendet. Dabei wurde versucht, auf Basis selbst erhobener Daten eigene Theorien oder Konzepte abzuleiten (vgl. Hülst, 2013, S. 281). Diese Methode wurde durch halbstandardisierte Leitfadeninterviews unterstützt, bei denen vorab erstellte Leitfäden als Richtlinien für die Interviews dienten (vgl. Helfferich, 2014, S. 560). Im Gegensatz zu streng strukturierten Interviews, bei denen die Fragen vorher festgelegt und keine Abweichungen zulässig sind, bieten Leitfadeninterviews einen Rahmen, der es den InterviewerInnen ermöglicht, flexibel auf die Antworten der InterviewpartnerInnen zu reagieren und zusätzliche Fragen zu stellen (vgl. Loosen, 2016, S. 142; vgl. Helfferich, 2014, S. 560). Bei halbstandardisierten Leitfadeninterviews sind lediglich die Fragenreihenfolge und die Inhalte vorgegeben (vgl. Loosen, 2016, S. 142). Diese Methode vereint Struktur und Offenheit, was es ermöglicht, in Interviews trotz einer gewissen Struktur aufkommende Themen weiter zu vertiefen (vgl. Helfferich, 2014, S. 562f.). Eine spezielle Form des halbstandardisierten Interviews ist das Experteninterview, bei dem Experten zu einem bestimmten Thema befragt werden (vgl. Strübing, 2018, S. 108).

Die Durchführung von Experten- und Leitfadeninterviews erfordert eine vorherige Literaturrecherche. Diese ist notwendig, um sich in das Thema einzuarbeiten, eine Forschungsfrage zu formulieren und einen angemessenen Leitfaden zu erstellen (vgl. Blöbaum et al., 2015, S. 185). Durch diese Recherche konnten deduktive Kategorien identifiziert werden, die die Schwerpunkte des Leitfadens bilden (siehe Tab. 1).

KategorienInhalt
Allgemeine Hintergrundinformationen Informationen zum Nutzungsverhalten bezüglich Messenger-Dienste (welche?, wie oft?, wozu?)
Positive Auswirkungen Auf das Leben der NutzerInnen (in der Schule?, in zwischenmenschlicher Kommunikation?)
Negative Auswirkungen und Herausforderungen Auf das Leben der NutzerInnen (in der Schule?, in zwischenmenschlicher Kommunikation?, Ablenkungen?)
Zeitmanagement und Produktivität Positive und/oder negative Einflüsse?, Einfluss auf schulische Aktivitäten (Unterricht?, Hausaufgaben?), Erreichbarkeit?
Privatsphäre und Sicherheit Datenschutz in der Schule und im privaten Leben?, Medienkompetenz?
Empfehlungen und Zukunftsaussichten Ratschläge zur effizienten und nachhaltigen Nutzung von Messenger-Diensten im Schulalltag, Ideen zur Verbesserung der Nutzung von Messenger-Diensten
Tabelle 1: Kategorien für den Interviewleitfaden (eigene Darstellung)

Ergebnisse: Zur Auswertung der Ergebnisse wurde die Kodierungsprozedur nach Straus (1991) und Straus & Corbin (1996) verwendet (zit. nach Mey & Mruck, 2010, S. 622). Mit dieser Methode wurden aus den Daten inhaltliche Codes erstellt, die miteinander verglichen, zusammengefasst und anschließend kategorisiert wurden. Durch eine kontinuierliche und wiederholende Analyse der alten und neuen Daten wurden diese Kategorien fortlaufend weiterentwickelt und erweitert. Als Resultat dieser Kodierungsprozedur wurden drei übergeordnete Kategorien identifiziert, die die Auswirkungen der Nutzung von Messenger-Diensten, die Aspekte der Mediennutzung und die Zukunftsperspektiven umfassen.

Die Kategorie Auswirkungen der Nutzung von Messenger-Diensten beinhaltet Einflüsse auf die Kommunikation, potenzielle Konflikte, Details zum Zeitmanagement, zur Produktivität, zur Privatsphäre und zur Sicherheit (siehe Tab.2). Hier wurde von allen Befragten berichtet, dass die Kommunikation und der Informationsaustausch effizienter geworden sind. Die Kontaktaufnahme mit KommunikationspartnerInnen wurde schneller und einfacher. SchülerInnen äußerten zudem eine erhöhte Produktivität, die sie auf die verbesserte Kommunikation zurückführten. Als einzige Gruppe äußerten die befragten Eltern Bedenken hinsichtlich des Ablenkungspotenzials der Messenger-Dienste. LehrerInnen und Schulleitung empfanden die Kommunikation über Messenger aufgrund ihrer Effizienz ebenfalls als entlastend. Dennoch wurden Bedenken bezüglich der Privatsphäre der LehrerInnen und dem Druck, schnell antworten zu müssen, geäußert.

SchülerInnen Eltern Lehrkräfte Schulleitung 
Positive Negative Positive Negative Positive Negative Positive Negative 
Erleichterte Kommunikation Zeit-aufwand Erleichterte Kommunikation Herausforderungen im Umgang mit Datenschutz und Sicherheit Erleichterte Kommunikation Erhöhter Druck für Lehrkräfte Schnelle und praktikable Kommunikation Erhöhter Druck für Lehrkräfte 
Schneller Informationsaustausch Konflikte und Mobbing Schneller Informationsaustausch Zu viele irrelevante Informationen Schneller Informationsaustausch Konflikte und Mobbing Effiziente Organisation Konflikte und Mobbing 
Effiziente Organisation  Nachhaltigkeit Ablenkende Wirkung für die SchülerInnen  Effiziente Organisation Zeitintensiver Umgang mit der Kommunikation Förderung der Beziehungs- ebene  Ablenkung und Belas-tung durch ständige Erreichbarkeit 
Verbesserung der Beziehung zwischen den SchülerInnen     Flexibilität bei der Kontaktauf- nahme Gefahr der Überlastung durch ständige Erreichbarkeit Vereinbarung von Lerngruppen Unkontrollie- rte Nutzung 
     Herausforderungen im Umgang mit Datenschutz und Sicherheit Zeitersparnis bei der Klärung von Fragen Gefährdung der Privats-phäre und Sicherheit 
Tabelle 2: Auswirkungen der sozialen Mediennutzung (eigene Darstellung) 

Die zweite Kategorie, welche die Aspekte der Mediennutzung behandelt, enthält wichtige Informationen zum Nutzungsverhalten verschiedener Messenger-Dienste (siehe Tab. 3). Diese Kategorie umfasst den Zweck und die Intensität der Nutzung. Mit Ausnahme der Eltern nutzten alle Gruppen WhatsApp, IServ und Moodle. WhatsApp wurde hauptsächlich im privaten Bereich und gelegentlich in Not- oder Dringlichkeitsfällen im schulischen Kontext eingesetzt. Innerhalb der einzelnen Gruppen diente WhatsApp auch als Kommunikationsmittel untereinander, beispielsweise in Elterngruppen. Auch IServ wurde zur Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen, hauptsächlich für den Austausch zu schulischen Themen, genutzt. Moodle wurde von SchülerInnen, LehrerInnen und der Schulleitung als Lernplattform verwendet, während die Eltern keinen Zugriff darauf hatten. WhatsApp wurde am häufigsten und IServ moderat zur Kommunikation genutzt.

 SchülerInnen Eltern Lehrkräfte Schulleitung 
Art von Messenger WhatsApp IServ  Moodle WhatsApp IServ WhatsApp  IServ Moodle WhatsApp Signal IServ 
Intensität der Nutzung WhatsApp: täglich   
IServ: selten
Moodle: selten  
WhatsApp: gelegentlich (in Bezug auf schulische Zwecke)  WhatsApp: häufig
IServ: gelegentlich
Moodle: gelegentlich 
WhatsApp: häufig  
Signal: häufig
IServ: gelegentlich 
Zweck der Nutzung WhatsApp: Chatten mit Freunden, Austausch von Hausaufgaben 
IServ: schulische Zwecke
Moodle: Upload von Aufgaben   
WhatsApp: Austausch mit anderen Eltern   IServ: Erhalt von schulischen Informationen, Kommunikation mit Lehrkräften WhatsApp: Schnelle Kommunikation mit SchülerInnen  
IServ: schulische Zwecke, Kommunikation mit KollegInnen und Eltern   Moodle: Hochladen von Material  
WhatsApp: Eher mit KollegInnen
Signal: private Zwecke  
IServ: Kommunikation mit KollegInnen  
Tabelle 3: Aspekte der sozialen Mediennutzung (eigene Darstellung) 

In der Kategorie Zukunftsaussichten wurden von den Eltern, Lehrkräften und der Schulleitung Wünsche und Verbesserungsvorschläge zusammengefasst (siehe Tab. 4). Die SchülerInnen äußerten sich zu diesem Thema nicht. Alle genannten Gruppen, die ihre Meinung zu diesem Thema abgaben, wünschten sich eine Weiterentwicklung in Bezug auf Kommunikation und Mediennutzung für schulische Zwecke. Dazu gehörten eine frühzeitige Schulung der Medienkompetenz der SchülerInnen, eine benutzerfreundlichere und effizientere Entwicklung von IServ sowie die Schaffung realer Kommunikationsräume.

 SchülerInnen Eltern Lehrkräfte Schulleitung 
Zukunftsaussichten Es liegen keine Informationen für eine Auswertung vor. Wunsch nach Nutzung des Eltern-IServ zur direkten Kommunikation mit Lehrkräften; Bedarf an verbesserten Rückfrageoptionen. Forderung nach benutzerInnenfreundlicherer Nutzung von IServ; Verbesserung des Nachrichten- und Anhangsversands an private E-Mail-Accounts. Präferenz für IServ als primäre Plattform für SchülerInnenkommunikation; Ziel ist eine effizientere und strukturiertere Kommunikation. Betonung der Bedeutung einer frühen Einführung in den Umgang mit digitalen Medien; Streben nach digitaler Kompetenz bis zur achten Klasse, erfordert zusätzliche Ressourcen. Fokus auf Schaffung eines realen Kommunikationsraums für tiefere Interaktionen und kritisches Denken; Bestreben, bestehende Kommunikationsformen zu verbessern. Integration von Tablet-Unterricht in den Schulalltag zur Förderung digitaler Kompetenzen; Vorschlag zur Ausweitung des Tablet-Unterrichts auf alle fünften Klassen.  
Tabelle 4: Zukunftsaussichten (eigene Darstellung) 

Wenn man die Ergebnisse dieser Analyse betrachtet, sind verschiedene Auswirkungen der Nutzung von Messenger-Diensten im schulischen Umfeld auf die Kommunikation zwischen SchülerInnen, Lehrkräften und Eltern erkennbar. Alle Gruppen gaben an, dass der Einsatz von Messenger-Diensten die Kommunikation erleichtert. Sie ist schneller, effizienter, flexibler und vereinfacht die Organisation von schulischen Angelegenheiten. Auch eine Steigerung der Produktivität durch effiziente Kommunikation ist deutlich erkennbar. Lehrkräfte und die Schulleitung sehen jedoch auch negative Auswirkungen. Die gute Erreichbarkeit führt zu einem Druck, schnell und zeitnah antworten zu müssen. Trotz ihrer Effizienz ist die Nutzung von Messenger-Diensten ebenfalls sehr zeitaufwendig. Kontaktversuche außerhalb der normalen Arbeitszeit werden als ein Problem für die Privatsphäre wahrgenommen. Um diesem Problem entgegenzuwirken, wird vorgeschlagen, bestimmte Messenger-Dienste für bestimmte Zwecke zu etablieren. WhatsApp, das hauptsächlich für persönliche und nicht schulische Zwecke verwendet wird, sollte vermieden werden, da die NutzerInnen dazu neigen, eine informelle Art der Kommunikation zu bevorzugen. Moodle und IServ hingegen weisen dieses Problem nicht auf und werden daher als geeignete Messenger-Dienste für schulische Zwecke befürwortet.In den Interviews wurden auch Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Kommunikation an Schulen geäußert. Lehrkräfte fordern einen einheitlichen Messenger-Dienst, über den alle Beteiligten miteinander kommunizieren können. IServ wurde von mehreren Gruppen als mögliche Plattform vorgeschlagen. Die Nutzung dieser Plattform erfordert jedoch eine Überarbeitung und Weiterentwicklung, um die Kommunikation effizienter und wechselseitiger zu gestalten. Weitere Vorschläge zur Verbesserung betreffen den Ausbau der digitalen Infrastruktur, die Ausstattung der SchülerInnen mit digitalen Endgeräten und ihre frühzeitige Einführung. Ein geschulter Umgang mit diesen Aspekten könnte sich langfristig positiv auf die Kommunikation an Schulen auswirken.

Literatur (Auswahl):

Blöbaum, B., Nölleke, D. & Scheu, A. M. (2015). Das Experteninterview in der Kommunikationswissenschaft. In Handbuch nicht standardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft (S. 175-190). Springer VS. 

Helfferich, C. (2014). Leitfaden- und Experteninterviews. In Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (S. 559-574). Springer VS.

Hülst, D. (2013). Grounded Theory. In Handbuch qualitative Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft (S. 281-300). Beltz.

Loosen, W. (2016). Das Leitfadeninterview – eine unterschätzte Methode. In Handbuch nichtstandardisierte Methoden in der Kommunikationswissenschaft (S. 139-155).Springer VS. 

Mey, G., Mruck, K. (2010). Grounded-Theory-Methodologie. In Handbuch qualitative Forschung in der Psychologie (S. 614-626). Springer VS.  

Strübing, J. (2014). Grounded Theory und Theoretical Sampling. In Handbuch Methoden der empirischen Sozialforschung (S. 457-472). Springer VS. 

Vogel, I. C. (2018). Kommunikation: Eine Einführung. In Kommunikation in der Schule (2. Aufl., S. 9-30). UTB.